Im Mai 2022 setzte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ ein. Seither hat die Kommission drei Stellungnahmen vorgelegt.
Besondere Beachtung erfahren die ihre Vorschläge zur Reform der Krankenhausvergütung. Der Minister selbst bezeichnet das Vorhaben als die größte Reform seit Einführung des DRG-Fallpauschalensystems vor 20 Jahren. kkvd aktuell hat mit Bernadette Rümmelin darüber gesprochen, wie sie die Reformvorschläge bewertet.
kkvd aktuell: Die von Minister Lauterbach einberufene Regierungskommission hat Anfang Dezember ihre Vorschläge für eine Reform der Krankenhausvergütung vorgestellt. Was davon bewerten Sie positiv?
Bernadette Rümmelin: Positiv ist, dass die Kommission ihre Arbeit sehr zügig angeht. Das hat sie bereits mit ihren Vorschlägen zur Geburtshilfe und Pädiatrie sowie zur Tagesbehandlung im Krankenhaus gezeigt. Inhaltlich weist die Kommission zudem mit ihrem Vorschlag, künftig fallzahlunabhängig Vorhaltekosten zu erstatten, in die richtige Richtung. Konkret schlägt sie ein Zwei-Säulen-Modell vor, das sich auf Vorhaltepauschalen einerseits und fallbezogene Pauschalen andererseits stützt. Diesen Ansatz hatte der kkvd schon vor zwei Jahren mit seinem Finanzierungsmodell vorgeschlagen. Uns war und ist wichtig, die Sicherung der Daseinsvorsorge und gleichwertiger Lebensverhältnisse mehr in den Fokus zu rücken. Pauschal refinanzierte Vorhaltekosten sind ein wichtiges Instrument, um diese für die Menschen im Land wichtigen Anliegen zu verwirklichen.
kkvd aktuell: Aber die Kritik an dem Papier überwiegt …
Bernadette Rümmelin: Ja, und die setzt schon bei der Zusammensetzung der Kommission an. Ziel von Minister Lauterbach ist es, evidenzbasierte Konzepte zu entwickeln. Definiert man Evidenz im medizinischen Sinne als nachgewiesene Wirksamkeit einer Therapie, muss man sich schon fragen, ob solche Konzepte gleichsam am grünen Tisch sowie in so kurzer Zeit von einer Kommission erarbeitet werden können, die sich letztlich nur aus Wissenschaftler:innen zusammensetzt. Hinzu kommt, dass der Minister nach eigenen Angaben maßgeblich an den Beratungen der Kommission teilgenommen hat. Wirklich unabhängig wissenschaftlich arbeiten kann das Gremium so sicher nicht.
kkvd aktuell: Wie bewerten Sie die Kommissionsvorschläge zu bundeseinheitlichen Versorgungsleveln? Wie sehr greift das in die Planungshoheit der Lander ein?
Bernadette Rümmelin: Das Konzept an sich ist bereits bekannt, schaut man beispielsweise auf die Notfallversorgung. Hier hat der Gemeinsame Bundesausschuss die Krankenhäuser in Notfallstufen von 0 bis 3 eingeordnet. Damit ist vorgegeben, welche strukturellen Voraussetzungen erfüllt werden müssen, um einem der Level zugeordnet zu werden. Ein solches Vorgehen wäre erstmal kein völliges Neuland für die Krankenhäuser. Die Kernfrage ist aber, was die Definition der einzelnen Level und ihrer Strukturvoraussetzungen konkret beinhaltet. Indem der Bund eine solche Definition vornehmen will, greift er sehr maßgeblich in die Planungshoheit der Länder bei der Krankenhausplanung ein, zumal die Länder zum Teil eigene Versorgungsstufen-Modelle etabliert haben. Mit einer solchen bundeseinheitlichen Vorgabe würde den Ländern die Möglichkeit genommen, mit an die regionalen Erfordernisse angepassten Strukturvorgaben zu arbeiten. Zwar sieht das Modell der Kommission vor, dass Abweichungen von der bundeseinheitlichen Level-Definition möglich sind. Doch das soll dann Kürzungen der an die Länder ausgezahlten Finanzmittel zur Folge haben.
kkvd aktuell: Wie bewerten Sie die Leistungsgruppen-Systematiken?
Bernadette Rümmelin:Der Begriff der Leistungsgruppe ist aus der neuen Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen mittlerweile bekannt. Und das Konzept ist auch sinnvoll, wenn es dazu genutzt wird, durch Schwerpunktbildung regionale Bedarfe zielgenauer abzudecken. So kann das Versorgungsangebot flexibel angepasst werden, beispielsweise für Regionen mit einem hohen Anteil junger Familien oder für solche mit einem hohen Anteil älterer Menschen. Allerdings hat die Regierungskommission in ihren Vorschlägen eine andere Definition von Leistungsgruppen vorgelegt, als sie in den als „MDC“ bekannten Hauptdiagnosegruppen des DRG-Systems abgebildet ist. Sie orientiert sich vielmehr an einer Kombination aus mehreren Bezugsgrößen wie den Operationen- und Prozedurenschlüsseln (OPS) und an der internationalen Krankheitsklassifikation ICD. Ich bin daher sehr zurückhaltend in der Bewertung, ob das inhaltlich und medizinisch-pflegerisch stimmig ist. Daher sagen die Mitglieder der Regierungskommission auch zu Recht, dass die vorgeschlagenen 128 Leistungsgruppen nur der Ausgangspunkt für weitere Diskussionen sein können. Wichtig ist, dass die Kombination von Leistungsgruppen ein sinnvolles medizinisches Leistungskonzept an den einzelnen Klinikstandorten ermöglicht. Nur so kann die Krankenhausorganisation auch zukünftig wirtschaftlich tragfähig geführt werden.
kkvd aktuell: Sprechen wir noch über die besondere Situation freigemeinnütziger Häuser. Was bedeuten die Energie- und Inflationskrise sowie die Vorschläge der Regierungskommission für diese Trägerform?
Bernadette Rümmelin: Unter der Energie- und Inflationskrise leiden allen Kliniken gleich, unabhängig von ihrer Trägerform und davon, ob sie sich im ländlichen Raum oder im Ballungsgebiet befinden. Alle haben eine wirklich angespannte Finanzierungslage. Die Frage ist nun: Welche Möglichkeiten haben die Häuser, um auf eine solche Situation zu reagieren? Und hier zeigt sich ehrlicherweise, dass öffentliche Kliniken ihre Defizite bei den Betriebskosten oftmals über Zuweisungen ihrer Träger, also der Landkreise, Städte und Gemeinden, ausgeglichen bekommen. Das sind dann wiederum überwiegend Steuergelder. Diese Möglichkeit haben freigemeinnützige Einrichtungen in aller Regel nicht. Nun geht es nicht darum, den Schwarzen Peter hin und her zu schieben. Mit Blick auf die anstehende Krankenhausreform zeigt dieses Beispiel vielmehr, dass alle Krankenhäuser auskömmlich finanziert werden sollten, damit solche Nachteile nicht mehr auftreten und sie mit derselben Ausgangslage in die Strukturreform starten können. Das wäre sehr sicher auch im Interesse der Kommunen. Das Konzept der Vorhaltefinanzierung ist daher ein wichtiges Element der angekündigten Reform. Ein großes Fragezeichen setze ich allerdings hinter das von Minister Lauterbach verkündete Ziel, die künftigen Ausgaben auf dem Niveau des bisherigen Budgets für die Krankenhausversorgung zu deckeln. Die Finanzierung ist doch jetzt schon defizitär. Wichtig ist, die bestehenden Finanzierungslücken jetzt schnell zu schließen – das betrifft insbesondere dieses und das nächste Jahr. Sonst wird die Reform auf ein durch den kalten Strukturwandel lückenhaftes System aufgesetzt. Das ist nicht nachhaltig und erfordert dann wieder Nachbesserungen. Das in der Debatte oft erwähnte Hamsterrad, in dem sich die Kliniken befinden, muss zum Stillstand kommen. Es darf keinesfalls an anderer Stelle einen neuen Antrieb bekommen, denn sonst würde unser Krankenhaussystem endgültig kollabieren.
kkvd aktuell: Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat wiederholt betont, dass er die Interessenvertretung bei dem Reformprozess ausdrücklich auf Abstand halten will. Kann das gelingen?
Bernadette Rümmelin: Ich finde es sehr polemisch und schlicht falsch, wenn der Minister behauptet, Lobbyinteressen seien für eine sogenannte billige Massenmedizin verantwortlich. Das wird auch der tollen Arbeit der Klinik-Mitarbeitenden aller Professionen nicht gerecht. Faktisch hält der Minister mit seinem Ansatz die Versorgungspraxis auf Abstand. Das ist ein großes Problem, denn damit droht das Reformgesetz ein Papiertiger zu werden, der letztlich nicht praxistauglich ist. Und dann droht die altbekannte, schier nicht enden wollende Serie von Nachbesserungen. So sollte diese für die Krankenhäuser so wichtige Reform nicht enden.